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Neues DFG-Netzwerk der Universitäten Halle und Konstanz: Schulden machen im 20. Jahrhundert
"Die historische Entwicklung von Staatsschulden ließe sich von der Antike bis zur Gegenwart erzählen. Dass Staaten aber systematisch auf öffentliche Kredite zurückgreifen und dass sich ein internationaler Kapitalmarkt mit Banken und anderen professionellen Kreditinstitutionen entwickelt, ist eine neue Qualität des späteren 19. Jahrhunderts", sagt Dr. Stefanie Middendorf vom Institut für Geschichte der MLU, die das interdisziplinäre Netzwerk gemeinsam mit Jun.-Prof. Dr. Julia Rischbieter von der Universität Konstanz leitet. Es trägt den Namen "Schulden machen. Praxeologie der Staatsverschuldung im langen 20. Jahrhundert" und vereint insgesamt zwölf Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Großbritannien und der Schweiz.
Im Rahmen der Förderung sind fünf wissenschaftliche Kolloquien geplant, in denen die Mitglieder des Netzwerkes gemeinsam der Geschichte der Staatsverschuldung nachspüren wollen: Was bedeutete Staatsverschuldung zu unterschiedlichen Zeiten in der Geschichte, und welche Folgen hatte staatliches Schuldenmanagement? Das Forschungsinteresse des Netzwerkes richtet sich auf Handlungsweisen und Akteure. Nicht ökonomische Modelle und statistische Zeitreihen bilden die Forschungsgrundlage, sondern Entscheidungen konkreter Menschen in konkreten Situationen: "Es sind die Handlungsbedingungen des Schuldenmachens, die die gesellschaftlichen Konsequenzen von Staatsverschuldung wesentlich bestimmen", sagt Julia Rischbieter von der Uni Konstanz. Ziel ist, den Prozesscharakter und historischen Wandel öffentlicher Verschuldung zu erklären, so etwa auch aufzuzeigen, wie sich grundsätzliche Prinzipien internationaler Schuldenwirtschaft - insbesondere von Zahlungsverpflichtungen - im Laufe der Zeit und im europäischen Vergleich änderten.
Die sozialen und politischen Ursachen für die Entwicklung der Staatsverschuldung in der Moderne werden in diesem Netzwerk aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet: Stefanie Middendorfs Forschungsgebiet umfasst die deutsche Haushalts- und Schuldenpolitik im 20. Jahrhundert. Julia Rischbieter bringt ihre Forschung zur internationalen Regulierung von Staatsverschuldungskrisen ein. Andere Forscherinnen und Forscher arbeiten zur schweizerischen Steuerpolitik, zum Verhältnis von Bankern und Regulatoren im Zuge der Finanzmarktregulierung des 20. Jahrhunderts oder zur Kulturgeschichte der Steuermoral.
Mit dem Fokus auf die gesellschaftlichen Bedingungen von Staatsverschuldung im 20. Jahrhundert wird das Phänomen des Schuldenmachens in seiner ganzen Komplexität und auch Widersprüchlichkeit analysiert und so eine Verbindung von geschichts-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Forschung hergestellt.
Das Netzwerk wird zum Abschluss eine deutschsprachige Textsammlung mit methodischen Fallstudien der Mitglieder zur Verfügung stellen. Damit soll zum einen eine interdisziplinäre Debatte angestoßen werden. Zum anderen soll die Thematik einem breiteren Publikum innerhalb der Geschichtswissenschaft und in der universitären Lehre zugänglich gemacht werden.
Die DFG fördert mit Wissenschaftlichen Netzwerken den ortsübergreifenden Austausch von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Ein Wissenschaftliches Netzwerk besteht dabei aus einem festen Personenkreis, der ein konkret definiertes Ziel verfolgt, zum Beispiel eine gemeinsame Publikation, eine Ausstellung oder ein Forschungsprojekt.