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Seenotrettung im Mittelmeer: Hallesche Juristen analysieren die aktuelle Rechtslage
Immer wieder gibt es Medienberichte über Geflüchtete, die mit einem Schiff über das Mittelmeer nach Europa kommen. Diese Menschen sind häufig krank oder ausgehungert, mitunter ist ihr Schiff nur begrenzt seetüchtig und es fehlt an ausreichend Treibstoff, um das eigentliche Ziel zu erreichen. Dass sich die Menschen auf dem Schiff in Seenot befinden und dass ihnen geholfen werden muss, steht außer Frage. "In der Europäischen Menschenrechtskonvention ist der Schutz von Menschenleben und Menschenwürde festgeschrieben", sagt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Winfried Kluth von der MLU, der seit vielen Jahren zum Migrationsrecht forscht und in diesem Feld als Sachverständiger den Bundestag berät. Wer aber für die Rettung zuständig ist und seinen Hafen für die Schiffe der privaten Hilfsorganisationen öffnen muss, ist dem Juristen zufolge innerhalb der Europäischen Union nicht geregelt.
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Nicole Jack und Philipp Schäper hat Kluth deshalb ein neues Buch zur Seenotrettung und dem Europäischen Recht veröffentlicht. "Das Buch zeigt, wie der geltende Rechtsrahmen aussieht, wo er Lücken hat und welche Handlungsoptionen es für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten gibt, um die Gefahren einer Flucht zu mindern", fasst Kluth zusammen. Eine zentrale Erkenntnis: Nicht die EU, sondern vor allem ihre Mitgliedstaaten sind nach derzeitiger Rechtslage für die Seenotrettung zuständig. Die aktuelle Gesetzeslage lasse aber viele Fragen offen, so Kluth. Dazu gehören zum Beispiel der Zugang zu Häfen, die Aufnahme und Zuweisung von Geflüchteten sowie die anschließende Bearbeitung von Asylanträgen.
Schleuser würden diese Lage ausnutzen und absichtlich stark beschädigte Schiffe mit geringen Treibstoffmengen auf dem Mittelmeer einsetzen, um eine Seenot zu provozieren und Anrainerstaaten wie Italien unter Druck zu setzen. "Allerdings zwingt das Seerecht keinen Staat dazu, diese Schiffe in einem Hafen anlegen zu lassen. Selbst humanitäre Notstände rechtfertigen das nicht. Die Staaten müssen lediglich Hilfe anbieten", erklärt Kluth. Das könne im Zweifelsfall bedeuten, dass ein Schiff ohne Treibstoff einfach eine Lieferung bekommt und weiter umherirren muss. Deshalb erfülle auch Italien aktuell die Vorgaben des Seerechts, so der Jurist weiter.
"Für die Probleme gibt es weder eine vollständige noch eine einfache juristische Lösung. Hier ist politisches Handeln der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten nötig, um die schlimmsten Fälle zu lösen. Es hängt vom Willen der Regierungen ab, eine solidarische Lösung zu finden", sagt Kluth. Kriminelle Aktivitäten, wie die der Schleuser, könne man aber selbst mit den besten Gesetzen nicht komplett verhindern.
Das Thema ist inzwischen auch in der Kommunalpolitik angekommen. Seit Ende 2018 gibt es zahlreiche Städte in Deutschland, die sich selbst als "sicheren Hafen" bezeichnen. Im Dezember hatte sich der Stadtrat dafür ausgesprochen, zusätzlich zum regulären Aufnahmeverfahren geflüchtete Menschen aus dem Mittelmeer aufzunehmen. "Allerdings sind die Kommunen für diese Entscheidungen gar nicht zuständig, sondern der Bund", sagt Kluth. Bislang fehle es noch an einer bundesweiten Regelung, um diese Absichtserklärungen in die Tat umsetzen zu können, etwa durch die Zuweisung der Flüchtlinge an einzelne aufnahmebereite Kommunen nach Abschluss eines Anerkennungsverfahrens.
Über das Buch: Winfried Kluth, Nicole Jack, Philipp Schäper: Seenotrettung von Flüchtlingen und Europäische Werte. Halle (Saale) 2019, 91 S., ISBN: 978-3-86977-200-4