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„Nature“-Studie: Über den Ursprung der Artenvielfalt im Pflanzenreich
Die Geschichte und Evolution der Pflanzen umfasst etwa eine Milliarde Jahre. Zunächst waren es Algen, die mit Hilfe von Chloroplasten erstmals in der Lage waren, die Lichtenergie der Sonne für sich nutzbar zu machen. Mit anderen Worten: Sie konnten Photosynthese betreiben. Heute gibt es über 500.000 Pflanzenarten, sowohl Wasser- als auch Landpflanzen. Ziel der neuen "Nature"-Studie war es, die genetischen Grundlagen für diese Entwicklung näher zu beschreiben. "Die Entstehung und Entwicklung der einzelnen Spezies liegt teils mehrere Hundert Millionen Jahre zurück. Dennoch haben wir heute die Möglichkeit zurückzublicken und zu schauen, was damals passiert ist", sagt der Pflanzenwissenschaftler Prof. Dr. Marcel Quint vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften an der MLU.
Quint leitet zusammen mit dem halleschen Bioinformatiker Prof. Dr. Ivo Große eines der Teilprojekte der "One Thousand Plant Transcriptomes Initiative", einem Verbund von etwa 200 Forschenden weltweit. Im Rahmen des Projekts sammelte das Team Proben von 1.147 Pflanzen- sowie Algenarten und analysierte anschließend die genetischen Aktivitätsmuster der einzelnen Pflanzen, also ihr sogenanntes Transkriptom. Anhand dieser Daten wollten die Forschenden die evolutionäre Entwicklung der Pflanzen und die Entstehung einzelner Arten rekonstruieren. Im Fokus standen dabei jene Pflanzenarten, die noch recht unerforscht waren, zum Beispiel zahlreiche Algen- und Moosarten, aber auch Blütenpflanzen.
"Das Besondere an dem Projekt ist, dass erstmals nicht nur einzelne Teile, sondern die kompletten Transkriptome von mehr als eintausend Pflanzen analysiert wurden. Das setzt die Erkenntnisse auf ein viel größeres Fundament", sagt Ivo Große. Das Teilprojekt unter Leitung der MLU untersuchte die Entwicklung bestimmter Genfamilien in den Pflanzen. "Im Laufe von Millionen von Jahren haben sich manche dieser Genfamilien in den Pflanzen vervielfältigt. Dies könnte eine Triebfeder für die Evolution der Pflanzen gewesen sein: Wenn die Pflanzen über deutlich mehr genetisches Material verfügen, setzt das neue Kapazitäten frei, die zu ganz neuen Merkmalen führen können", erklärt Quint. Eine der übergeordneten Fragen des Projekts war es herauszufinden, ob diese Vervielfältigung in Zusammenhang mit bestimmten Schlüsselinnovationen im Pflanzenreich steht, etwa der Entwicklung von Blüten oder Samen. Hierfür kooperierten Quint und Große mit Fachkollegen der Universitäten in Marburg, Jena und Köln. An der MLU wurde der Hauptteil der Analysen von Martin Porsch durchgeführt, der bei Ivo Große promoviert wird.
Mit Hilfe der umfangreichen Analysedaten konnten die Forscher einen neuen zeitlichen und genetischen Abstammungsbaum der Pflanzen erstellen. Dieser zeigt auch, dass eine bisherige Annahme über die Evolution der Pflanzen nicht zutrifft: "Bislang ging man davon aus, dass es die größte genetische Ausweitung beim Übergang zu den Blütenpflanzen gegeben hat. Schließlich macht die Gruppe heute die meisten Arten aus", sagt Bioinformatiker Porsch. Die neuen Daten zeigen aber, dass die genetische Grundlage für diese Explosion in der Artenvielfalt bereits viel früher gelegt wurde. "Genetisch gesehen stellt der Übergang von den Wasser- zu den Landpflanzen den Ausgangspunkt für alle weiteren Entwicklungen dar. Dieser war die größte Herausforderung für Pflanzen, für den sie - genetisch gesehen - die meisten Innovationen benötigten", so Porsch weiter. "Hier steigt die Vielfalt extrem an und erreicht danach ein relatives Plateau. Im Grunde genommen war ab diesem Zeitpunkt schon fast das komplette genetische Material vorhanden, um die Artenvielfalt evolutionär hervorzubringen, wie wir sie heute erleben", fasst Große zusammen. Dass die massive Expansion der Blütenpflanzen erst viele Millionen Jahre später einsetzte, liegt dem Forscherteam zufolge unter anderem daran, dass es lange Zeit keine geeigneten Umweltbedingungen für deren Ausbreitung gab. Zudem verlaufe Evolution nicht zielgerichtet, sodass manche genetischen Potentiale erst deutlich später - oder auch gar nicht - realisiert wurden.
Über die Studie: Leebens-Mack J. H. One thousand plant transcriptomes and the phylogenomics of green plants. Nature (2019). doi: 10.1038/s41586-019-1693-2