Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Konzeptuelles Diagramm der direkten und indirekten Auswirkungen des Städtewachstums
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Städtewachstum verursacht stärksten Verlust der biologischen Vielfalt außerhalb der Städte

Nummer 199/2019 vom 10. Dezember 2019
Die direkten Folgen des Städtewachstumes sind anscheinend weitaus geringer als die indirekten Auswirkungen außerhalb der Städte. Dazu gehören die Freisetzung von Treibhausgasen, die weltweit zu einer Veränderung des Klimas führen, oder der zunehmende Bedarf an Lebensmitteln und anderen Ressourcen, der eine veränderte Landnutzung zur Folge hat. Ein Forscherteam von der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy (TNC), dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und anderen Forschungseinrichtungen hat die direkten und indirekten Auswirkungen des Städtewachstums auf globaler Ebene untersucht. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin "Nature Sustainability" veröffentlicht.

Nie ist das Städtewachstum so schnell vorangeschritten wie in der heutigen Zeit - Prognosen zufolge wird die urbane Bevölkerung bis 2030 um zwei Milliarden Menschen anwachsen. Dies entspräche der Entstehung einer Stadt der Größe New Yorks alle sechs Wochen. Doch was wissen Wissenschaftler überhaupt darüber, wie sich das Städtewachstum auf die biologische Vielfalt auswirkt - und was nicht? Um diese Frage zu beantworten haben Wissenschaftler mehr als 900 Studien untersucht. Die Arbeit des internationalen Forscherteams wurde vom Synthesezentrum sDiv am iDiv finanziert.

Die Forschenden fanden heraus, dass sich die direkten Auswirkungen von Städten auf die natürlichen Lebensräume und die biologische Vielfalt mithilfe von Satellitendaten deutlich abbilden lassen. Solche direkten Folgen treten auf, wenn sich urbane Gebiete ausdehnen und natürliche Lebensräume in Städte umgewandelt werden. Zusammengenommen sind diese direkten Auswirkungen beträchtlich: Prognosen gehen für den Zeitraum von 2000 bis 2030 von 290.000 km² Land aus, das zum Stadtgebiet umgewandelt wird. Dies entspricht einer Fläche, die größer als das Vereinigte Königreich ist. Vor allem in artenreichen Gegenden wie China, Brasilien und Nigeria sind die Auswirkungen des Städtewachstumes auf die Natur beträchtlich. Daraus resultiert ein starker Verlust der natürlichen Vielfalt, denn weltweit ist der Artenreichtum (Anzahl der Arten) in Städten um durchschnittlich 50 Prozent geringer als in intakten naturbelassenen Gegenden.

Allerdings sind die indirekten Folgen des Städtewachstums wahrscheinlich weitaus schwerwiegender als die direkten. Indirekte Folgen schließen die Auswirkungen des Ressourcenverbrauchs in Städten auf die biologische Vielfalt ein sowie die Schadstoffbelastung aufgrund der Urbanisierung. Die Forscher schätzen, dass allein die Fläche, die zur Ernährung der städtischen Bevölkerung weltweit nötig ist, 36-mal größer ist als die Stadtgebiete selbst. "Mit anderen Worten: Das Essen der Städter hat weitaus größerer Folgen für die globale biologische Vielfalt als die direkten Auswirkungen der Urbanisierung auf die Umwelt", sagt Dr. Andressa Vianna Mansur, die am iDiv forscht. Ähnliche Schlussfolgerungen lassen sich für andere indirekte Auswirkungen treffen, wie die Rolle von Treibhausgasemissionen in den Städten beim Voranschreiten des Klimawandels.

Bis heute hat sich die Wissenschaft vor allem mit den direkten Auswirkungen der Urbanisierung in konkreten Städten oder Gebieten beschäftigt: Von den 900 Studien untersuchen mehr als 600 die direkten Auswirkungen des Städtewachstums. Doch zu den Regionen, in denen anhand von Satellitendaten ein besonders starkes Wachstum der Stadtgebiete zu erkennen ist, liegen nur wenige Untersuchungen vor. "Die meisten Studien finden sich in den Industrieländern, wie in den USA oder der EU. Vergleichsweise wenige Publikationen behandeln die Entwicklungsländer, wo sich die Städte aber am schnellsten in artenreiche Gebiete ausdehnen", meint Erstautor Dr. Robert McDonald, der bei der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy (TNC) als Wissenschaftler tätig ist. "Aus diesem Grund wissen wir nur wenig darüber, wie sich Ökosysteme in diesen Regionen aufgrund der Urbanisierung verändern."

Anders als die direkten Auswirkungen sind die indirekten Auswirkungen des Städtewachstums relativ wenig erforscht: Nur 34 Prozent aller Studien zum urbanen Einfluss auf die biologische Vielfalt berücksichtigen die indirekten Folgen. "Man kann auch sagen: Wir verwenden doppelt so viel Energie dafür, die direkten Auswirkungen zu untersuchen, obwohl die indirekten viel weitreichender zu sein scheinen", so Robert McDonald.

Diese Wissenslücke könnte sich auch auf die politische Entscheidungsfindung auswirken: "Die geringe Datenlage zum Verlust der biologischen Vielfalt aufgrund der Urbanisierung in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen könnte in der Politik dazu führen, dass das Thema unterschätzt wird", meint Prof. Henrique Pereira, der eine Forschungsgruppe am iDiv und der MLU leitet. Darüber hinaus gibt es nur wenig Erkenntnisse darüber, wie sich bestimmte sozioökonomische Prozesse in den Entwicklungsländern auf die biologische Vielfalt auswirken, zum Beispiel die Bildung informeller Siedlungen (Slums). "Nur wenn wir diese Forschungslücke schließen, können wir auch kluge und fundierte Entscheidungen treffen, wie wir die biologische Vielfalt in einer zunehmend urbanisierten Welt schützen können."

 

Über die Studie: McDonald et al. Research gaps in knowledge of the impact of urban growth in biodiversity. Nature Sustainability (2019). doi: 10.1038/s41893-019-0436-6

 

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