Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Regenwürmer sind die Architekten des Bodens.
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Aufruf in „Science“: Bodenschutz ist Umweltschutz

Nummer 004/2021 vom 15. Januar 2021
Ein Viertel aller bekannten Arten lebt im Boden. Das Leben über der Erde hängt ab vom Boden und seinen unzähligen Bewohnern. Doch globale Strategien zum Schutz der Biodiversität schenken diesem Lebensraum bisher wenig Beachtung. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Universität Leipzig (UL) und der Colorado State University ruft in der Fachzeitschrift Science dazu auf, die Böden in den Neuverhandlungen internationaler Biodiversitätsstrategien stärker zu berücksichtigen.

Würde man die Menschen befragen, welche Tiergruppe die häufigste auf der Erde ist, es würde wohl kaum jemand auf die richtige Antwort kommen. Nicht Ameisen, nicht Fische, auch nicht Menschen - nein es sind die Nematoden, auch Fadenwürmer genannt. Vier von fünf Tieren auf der Erde gehören dieser Gruppe an. Dass sie kaum einer kennt, liegt daran, dass sie unsichtbar unter der Erde leben. Still und leise leisten sie der Welt über ihnen tagtäglich wichtige Dienste - gemeinsam mit Tausenden anderen Bodenlebewesen.

Der Boden ist einer der artenreichsten Lebensräume. Unter einem Quadratmeter gesunden Bodens leben bis zu 1,5 Kilogramm Lebewesen: Fadenwürmer, Regenwürmer, Springschwänze, Milben, Insektenlarven und so weiter. Hinzu kommen Myriaden von Mikroorganismen: Bakterien, Protisten, Pilze und viele mehr. Sie fressen und verwandeln lebendes und totes Tier- und Pflanzenmaterial in Nährstoffe für neues Leben. Ohne Bodenlebewesen könnten keine Pflanzen wachsen, könnten keine Menschen leben.

Umso erstaunlicher ist es, dass Böden in den internationalen Strategien zum Schutz der Biodiversität bislang kaum eine Rolle spielen. Für die Autoren des "Science"-Artikels ein großes Problem: "Wenn wir die Böden nicht für die nächsten Generationen schützen", schreiben sie, "können auch die oberirdische Artenvielfalt und die Nahrungsmittelproduktion nicht gewährleistet werden". Der Appell geht an die 196 Staaten, die im Rahmen der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) eine neue Strategie zum Schutz der Biodiversität verhandeln.

Denn die Böden sind immer seltener gesund. Sie leiden unter intensiver Bewirtschaftung mit schweren Maschinen, Düngern und Pestiziden, werden verdichtet, überbaut oder gehen durch Wind- und Wassererosion verloren. Die Klimaerwärmung setzt sie zusätzlich unter Druck. So gehen laut Heinrich-Böll-Stiftung weltweit jährlich rund 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren. Damit fallen nach und nach auch vielfältige Leistungen der Böden aus wie die Reinigung von Wasser oder der Schutz vor Pflanzenkrankheiten. Außerdem sind Böden der wichtigste Kohlenstoffspeicher der Erde und bremsen so den globalen Klimawandel.

Diese Leistungen kommen den Forschern in den politischen Debatten viel zu kurz. "Bisher wurde der Bodenschutz zu sehr auf die Vermeidung von Erosion und den Verlust der Produktivität in der Landwirtschaft reduziert", sagt Erstautor Dr. Carlos Guerra (iDiv, MLU). "Es wird Zeit, dass Naturschutzpolitik sich den Schutz von Bodenorganismen und deren Ökosystemfunktionen als Ziel setzt - über die Nahrungsmittelproduktion hinaus. Indem wir die biologische Vielfalt im Boden erfassen und schützen, unterstützen wir die Erfüllung vieler Nachhaltigkeitsziele, sei es der Klimaschutz, die Nahrungsmittelversorgung oder der Schutz der biologischen Vielfalt."

"Schutzmaßnahmen haben bisher vor allem das Leben über der Erde im Blick gehabt, etwa bei der Ausweisung von Schutzgebieten", sagt Senior-Autorin Dr. Diana Wall von der Colorado State University in den USA. Da diese aber nicht notwendigerweise auch der unterirdischen Biodiversität nützen, müssten die spezifischen Bedürfnisse der Lebensgemeinschaften im Boden mitberücksichtigt werden. Als konkrete Schutzmaßnahmen schlagen die Forschenden in ihrem Artikel beispielsweise den Verzicht aufs Pflügen oder den Erhalt von Totholz vor.

Um entscheiden zu können, welche Regionen der Welt besonders schutzwürdig sind und welche Schutzmaßnahmen sinnvoll sind, müssen ausreichend Informationen über Zustand und Entwicklung der Biodiversität in Böden vorhanden sein. Da dies bislang nicht der Fall ist, hat das Team das Monitoring-Netzwerk Soil BON ins Leben gerufen. "Wir wollen die biologische Vielfalt in den Böden in den Fokus der Schutzbemühungen rücken. Dazu müssen wir der Politik die notwendigen Entscheidungshilfen liefern", sagt Senior-Autor Prof. Dr. Nico Eisenhauer, Forschungsgruppenleiter bei iDiv und der Universität Leipzig. "Soil BON wird die relevanten Daten erzeugen und Unterstützung leisten, um dieses Ziel zu erreichen."

Soil BON soll helfen, vergleichbare Boden-Daten flächendeckend und über lange Zeiträume zu erfassen. Notwendig sind weltweit einheitliche Regeln, was wie erfasst werden soll. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen hierfür ein ganzheitliches System vor, das auf den sogenannten Essential Biodiversity Variables (EBVs) aufbaut. EBVs sind Schlüsselgrößen für die Messung von Biodiversität und ihrem Wandel. Das Konzept wurde u. a. bei iDiv entwickelt und enthält Messgrößen wie Bodenatmung, Nährstoffumsatz oder genetische Diversität. Aus den EBVs leiten sich Indikatoren ab, die als Entscheidungsgrundlagen für die Bewertung und die Schutzwürdigkeit von Böden dienen.

Das vorgeschlagene Monitoring- und Indikatoren-System ermöglicht es den Forschenden zufolge, den weltweiten Zustand der Böden und ihrer Funktionsfähigkeit effizient zu erfassen und langfristig zu verfolgen. Sie betonen zudem, dass es auch als wichtiges Frühwarnsystem dienen kann: Mit seiner Hilfe ließe sich frühzeitig erkennen, ob mit den laufenden Maßnahmen die gesteckten Naturschutzziele erreicht werden können.

 

Diese Forschungsarbeit wurde u.a. gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118).

 

Veröffentlichung: Guerra et al. Tracking, targeting, and conserving soil biodiversity - A monitoring and indicator system can inform policy. Science (2020). doi: 10.1126/science.abd7926

 

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