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Prof. Dr. Jonathan ChaseLeiter der iDiv-Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese, MLU
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Vögel in Nordamerika können kaum mit Klimawandel mithalten
Der Klimawandel stellt für Pflanzen und Tiere eine Reihe von Herausforderungen dar. So verändern sich im Zuge des Klimawandels die für viele Arten geeigneten klimatischen Bedingungen. Die Situation verschärft sich, wenn weitere, vom Menschen verursachte Landnutzungsänderungen - etwa in der Landwirtschaft - hinzukommen. Wenn die für eine bestimmte Art klimatisch geeigneten Orte einerseits und ihre tatsächliche Verbreitung andererseits zunehmend auseinanderklaffen, spricht man von Klima-Entkopplung. So lebt beispielsweise die Heuschreckenammer Ammodramus savannarum im nordamerikanischen Grasland, einem Lebensraum, der zunehmend verloren geht. Die hohe Spezialisierung der Heuschreckenammer in Verbindung mit dem Verlust intakter Lebensräume schränkt sie das stark ein: Das äußert sich in starken Bestandsrückgängen und sogar dem lokalen Aussterben der einst weit verbreiteten Art.
Nicht nur die Heuschreckenammer lebt mittlerweile an für sie klimatisch weniger günstigen Orten, wie das Team von iDiv, Universität Leipzig und der MLU zeigt: Mit Hilte von Daten über die zeitliche Entwicklung von Vogelpopulationen aus dem North American Breeding Bird Survey (BBS) konnte es zeigen, dass mindestens 30 der 114 untersuchten Vogelarten in den vergangenen 30 Jahren dem sich wandelnden Klima nur teilweise gefolgt sind. Das bedeutet, dass sich ihre Verbreitung und ihre Häufigkeit im Laufe der Zeit zunehmend vom lokalen Klima entkoppelt haben. Bei elf von 114 der untersuchten Arten gab es hingegen einen gegenläufigen Trend - eine Klima-Kopplung. Die Verbreitung und Häufigkeit dieser Arten stimmten also mit ihren klimatisch bevorzugten Bedingungen zunehmend überein. Bei den übrigen Arten fanden sich weniger Anhaltspunkte für Klima-Kopplung oder Klima-Entkopplung - d. h. die Passgenauigkeit von Verbreitung und Häufigkeit einerseits und artspezifischem Klimaoptimum andererseits blieb stabil.
"Wir haben auch festgestellt, dass die Klima-Entkopplung bei Arten, die als bedroht gelten und deren Populationsgröße abnimmt, stärker ausgeprägt ist", sagt Senior-Autor Prof. Dr. Jonathan Chase, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese bei iDiv und an der MLU. "Es gibt viele bekannte Faktoren, die zum Rückgang der Populationen vieler Vogelarten beitragen, aber unsere Studie fügt unserem Verständnis der möglichen Ursachen für einige dieser Veränderungen eine neue Facette hinzu - dass nämlich die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die Arten unter ihren optimalen Klimabedingungen leben, während sich die Welt um sie herum verändert."
Die Forscher konnten zeigen, dass die Klima-Entkopplung bei Lebensraumspezialisten stärker ausgeprägt war als bei Generalisten. Diese Spezialisten haben möglicherweise größere Schwierigkeiten in zunehmend veränderten Landschaften die richtigen Kombinationen aus geeigneten Lebensräumen und Klimabedingungen zu finden.
"Ein Ergebnis hat uns besonders überrascht: Der allgemeine Trend der Klima-Entkopplung hat sich anscheinend nicht verlangsamt", sagt der Erstautor Dr. Duarte Viana, der den Großteil der Studie während seiner Anstellung bei iDiv und der Universität Leipzig durchführte und jetzt an der Biologischen Station Doñana in Sevilla arbeitet. "Dies deutet auf eine mögliche Rückkopplung zwischen der Klima-Entkopplung und dem Rückgang der Populationen hin, die sich angesichts zahlreicher globaler Veränderungen ergeben könnte", fügt er hinzu.
Studie: Viana, S. D. & Chase, J. Increasing climatic decoupling of bird abundances and distributions. Nature Ecology & Evolution (2022). doi: 10.1038/s41559-022-01814-y