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Neues Projekt hinterfragt Afrikaforschung in Deutschland

Nummer 105/2022 vom 19. September 2022
Das Projekt "African Studies in Germany through the lens of Critical Race Theory" hat sich bei der neuen Förderinitiative "Aufbruch - Neue Forschungsräume für die Geistes- und Kulturwissenschaften" der VolkswagenStiftung durchgesetzt: Ein Team der Universität Bayreuth, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) untersucht nun gemeinsam die Afrikastudien in Deutschland aus der Perspektive der Critical Race Theory. Die MLU erhält für das Projekt bis zu 138.000 Euro.

Die Forscher*innen gehen von der Beobachtung aus, dass sich in den Afrikastudien an deutschen Universitäten ein Kanon wissenschaftlicher Literatur herausgebildet hat, der einen dominierenden Einfluss auf Forschung und Lehre gewonnen hat. Sie wollen deshalb untersuchen, inwiefern dieser Literaturkanon noch immer von den kolonialen Wurzeln der Afrikastudien in Deutschland geprägt ist und damit weiße Perspektiven auf den Kontinent perpetuiert. Gemeinsam wollen Dr. Stephanie Lämmert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, Dr. Serawit B. Debele von der Universität Bayreuth  und Dr. Yusuf K. Serunkuma von der MLU ergründen, wie diese Auswahl zustande kam: Welche Texte und Perspektiven wurden ausgelassen und warum? "Wir beabsichtigen, die zugrundeliegenden Probleme in den Afrikastudien zu identifizieren und die tiefgreifenden theoretischen und methodologischen Fragen zu behandeln, die sich aus der Kluft zwischen ,aktivistischem' Wissen, das jenseits des weißen universitären Kontexts entsteht, und dem Wissen von vermeintlich neutralen Wissenschaftler*innen ergeben", erklären die Forscher*innen. "Wir argumentieren, dass die Vorstellung von Deutschland als einer ,postracial society' verdeckt, dass seine Politik der Wissensproduktion zutiefst rassifiziert war und immer noch ist. Unser Ziel ist auch, nützliche konzeptionelle und theoretische Werkzeuge zu entwickeln, um die wissenschaftliche und aktivistische Wissensproduktion über Afrika zusammenführen."

Zu Grunde liegt diesem Projekt die in den USA entstandene "Critical Race Theory" (CRT), die besagt, dass die Kategorie "Race" sozial konstruiert und nicht biologisch begründet ist. Die CRT geht davon aus, dass Rassismus in der Gesellschaft und ihren Institutionen tief verankert ist. Die Forscher*innen sagen: "Dies ist so, weil weißes Wissen als universeller Standard präsentiert wird, obwohl es die Perspektiven von Personen of Colour nicht mitdenkt. Daher kann auch die Wissenschaft nicht neutral sein."

Das Projekt "African Studies in Germany through the lens of Critical Race Theory" ist eines von neun Projekten, die sich unter 196 Anträgen durchgesetzt haben und die jetzt mit insgesamt 2,6 Millionen Euro von der VolkswagenStiftung gefördert werden. Die neue Förderinitiative will damit Projekte mit "Aufbruchcharakter" stärken, "die um ein offenes An-Denken und Erkunden neuer, origineller Forschungsansätze bemüht sind". Dies könne beispielsweise durch eine neuartige inhaltliche Zusammenführung von verschiedenen Perspektiven oder durch die Exploration neuer methodischer Ansätze erfolgen. "In jedem Fall geht es um den Prozess des Findens, der Raum für das Neue und Unvorhersehbare schafft", erklärt die Stiftung in einer Mitteilung. Explizit gesucht waren Projekte "mit einem hohen Grad an Originalität, der auch mit einem entsprechenden Risikocharakter des Vorhabens einhergehen" könne. Konkret heißt es: "Die Möglichkeit des Nichteintretens der anvisierten Projektziele ist daher kein Grund für eine Ablehnung eines Projekts."

 

Seminar für Ethnologie an der MLU
Der Arbeitsbereich Politik- und Rechtsanthropologie im postkolonialen Afrika an der MLU befasst sich mit Themen wie moderner Staatlichkeit, Bürokratie, Rechtspluralismus, Identitäts- und Konfliktforschung oder moralischer Anthropologie. Ein besonderer Fokus liegt auf einer reflexiven Form der ethnologischen Forschung, die zum Beispiel dominante Wissensdiskurse re- und dekonstruiert. Dabei geht es auch darum, eurozentrische Perspektiven auf Wissen und Wissenschaft zu überwinden. Sichtbar wird dieser Ansatz etwa in der jährlichen Anton-Wilhelm-Amo-Lecture, die dem ersten promovierten afrikanischen Philosophen Europas gewidmet ist. Yusuf Serunkuma wurde 2022 im Arbeitsbereich Politik- und Rechtsanthropologie promoviert und arbeitet künftig als PostDoc in dem neuen Forschungsprojekt.

Afrikaforschung an der Universität Bayreuth: 
Die Universität Bayreuth ist mit dem Institut für Afrikastudien (IAS), der internationalen Graduiertenschule BIGSAS (Bayreuth International Graduate School of African Studies), dem Iwalewahaus und dem Exzellenzcluster "Africa Multiple" führend auf dem Feld der Afrikastudien in Deutschland. Diese gemeinsam mit afrikanischen Partnerinstitutionen neu auszurichten - darum geht es im Exzellenzcluster "Africa Multiple". Im Mittelpunkt stehen die kontinentalen und transkontinentalen Verflechtungen kultureller, sprachlicher, sozialer, religiöser, politischer, ökonomischer und ökologischer Prozesse. Im Cluster entstehen neue Formen der interkontinentalen Wissenschaftskooperation, insbesondere durch die vier neu gegründeten African Cluster Centres in Burkina Faso, Kenia, Nigeria und Südafrika. Die internationalen Teams entwickeln gemeinsam Forschungsmethoden, um zu einer differenzierten Sichtweise von Afrika zu gelangen. Seit 2021 ist Dr. Serawit Debele Junior Nachwuchsgruppenleiterin für den Bereich Intersectionality innerhalb des Clusters.

Forschungsbereich Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Stephanie Lämmert ist Wissenschaftlerin im Forschungsbereich Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. In engem Gespräch mit Psychologen und Erziehungswissenschaftlern, aber auch mit Ethnologen, Soziologen, Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftlern erkunden Historiker*innen die Gefühlsordnungen der Vergangenheit. Sie gehen davon aus, dass Gefühle - Empfindungen und ihr Ausdruck - kulturell geformt und sozial erlernt werden. Was jemand in einer bestimmten Situation oder gegenüber einer anderen Person und Sache fühlen/zeigen darf und was nicht, ist gesellschaftlich normiert und damit historisch variabel. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung sowie der Mensch-Maschine-Interaktion gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.

 

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