Kontakt
Manuela Bank-Zillmann
Telefon: +49 345 55-21004
Telefax: +49 345 55-27404
presse@uni-halle.de
Universitätsplatz 8/9
06108 Halle
Login für Redakteure
Studie zur Terroristenliste der UN: Einmal schuldig, immer schuldig?
Eingeführt wurde das Amt der Ombudsperson für das "Sanktionsregime 1267" der Vereinten Nationen im Jahr 2010 - insbesondere auf Druck des Europäischen Gerichtshofs. Das Regime, das 1999 durch den UN-Sicherheitsrat eingerichtet wurde, sollte bei der Bekämpfung des Terrorismus durch die Taliban und Al Kaida helfen. Ziel war es, gezielt gegen Angehörige und Unterstützter der Terrororganisationen vorzugehen - später wurde die Liste um die Taliban gekürzt und den sogenannten Islamischen Staat ergänzt. "Im Völkerrecht gibt es seit langer Zeit die Möglichkeit von Wirtschaftssanktionen gegen einzelne Länder, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Allerdings treffen diese Maßnahmen immer ein ganzes Land samt seiner Bevölkerung. Das Sanktionsregime sollte es stattdessen ermöglichen, gezielt gegen Einzelpersonen vorzugehen", erklärt der Rechtswissenschaftler Dr. Andrej Lang von der MLU. Auf Beschluss des Sicherheitsrats können Personen mit weitreichenden Sanktionen belegt werden. "Wird eine Person auf diese Liste gesetzt, sind alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Konten dieser Person zu sperren und ihre Bewegungsfreiheit durch Ausreiseverbote einzuschränken", so Lang weiter. Das Ziel der Maßnahmen ist es, so die Finanzierung des Terrorismus einzudämmen und so Terroranschläge zu verhindern.
Wie Personen auf diese Liste gelangen, ist jedoch problematisch, sagt Lang: Die Entscheidungen werden durch ein mit Diplomatinnen und Diplomaten besetztes Komitee des UN-Sicherheitsrats getroffen. Die Mitgliedsstaaten berufen sich dabei teilweise auf vertrauliche Dokumente ihrer Geheimdienste, ohne diese den anderen Staaten vorzulegen. Erschwerend komme hinzu, dass nicht alle sanktionierten Personen direkt davon erfahren, dass sie auf die Liste aufgenommen wurden. "Es gab Fälle, in denen ein Betroffener auf einmal seine Miete nicht mehr zahlen konnte, weil sein Konto gesperrt war. Das kann ein ganzes Leben aus der Bahn werfen", so Lang. Für seine neue Studie untersuchte der Rechtswissenschaftler die Arbeit und Bedeutung der Ombudspersonen, an die sich Personen wenden können, die ihrer Meinung nach zu Unrecht auf der Liste stehen. Neben einer umfangreichen Recherche der Fachliteratur und der öffentlich einsehbaren UN-Dokumente führte Lang auch zahlreiche Interviews mit Diplomatinnen und Diplomaten, Anwälten der gelisteten Personen sowie mit den drei ehemaligen Ombudspersonen. Mit diesem Material fertigte er die bisher umfassendste Bestandsaufnahme zum Amt der Ombudsperson an und ordnet ihre Arbeit in aktuelle Rechtsdiskurse zur internationalen Streitbeilegung und Sicherheitspolitik ein.
Wenden sich Betroffene an die Ombudsperson, wird ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende die Ombudsperson eine Empfehlung abgibt, ob die Person von der Liste gestrichen werden sollte. Um dieser Empfehlung nicht zu folgen, müssen entweder alle 15 Mitglieder des Sanktionskomitees einstimmig dagegen stimmen oder den Fall an den Sicherheitsrat überweisen - beides ist bisher noch nicht vorgekommen. "Damit verfügt die Ombudsperson über eine starke Empfehlungsbefugnis", so Lang. Seit der Einführung der Terroristenliste wurden etwa 450 Personen daraufgesetzt. 105 dieser Personen haben ein Verfahren bei der Ombudsperson eingeleitet. Die meisten dieser Verfahren sind mittlerweile abgeschlossen, sagt Lang. In der überwiegenden Mehrheit sei empfohlen worden, die Person von der Liste zu streichen - die UN-Mitgliedsstaaten sind der Empfehlung bisher immer nachgekommen. "Das ist erstaunlich, da in vielen Fällen eine Reihe von Staaten davon überzeugt sind, dass die Personen es verdienten, weiter auf der Liste zu bleiben", so Lang. Dass so viele Personen von der Liste gestrichen werden, sieht der Jurist nicht als generelles Problem des Sanktionsregimes an: "In den ersten Jahren wurden Personen zu Unrecht auf die Terroristenliste gesetzt. Bei den meisten Personen scheint es aber mittlerweile zumindest vertretbar zu sein, dass sie ursprünglich auf die Liste gesetzt wurden, weil sie für Al Kaida oder den sogenannten Islamischen Staat tätig waren oder sind." Doch nach einer gewissen Zeit müsse der Status hinterfragt werden. Das gelte zum Beispiel für Menschen, die von nationalen Gerichten verurteilt wurden und ihre Haftstrafe abgesessen haben - aber immer noch auf der Liste standen.
Für Lang ist die Arbeit der Ombudspersonen der Ausdruck eines neuen Trends im Völkerrecht. "In den nächsten Jahrzehnten werden vermutlich weniger internationale Gerichte gegründet als in der Epoche nach dem Ende des Kalten Krieges. Während der Westen immer mehr an Einfluss verliert, werden Staaten wie China und Indien geopolitisch bedeutsamer, wollen sich aber nicht auf solche Institutionen einlassen. Unter diesen Bedingungen einer veränderten Weltordnung sind Streitschlichter wie die Ombudspersonen als Kompromiss eine bessere Lösung als es auf den ersten Blick erscheint - auch wenn sie nicht immer unseren Ansprüchen an rechtsstaatliche Standards entsprechen", sagt Lang abschließend.
Studie: Lang A. Alternatives to adjudication in international law. A case study of the ombudsperson to the ISIL and Al-Qaida sanctions regime of the UN security council. American Journal of International Law (2022). doi: 10.1017/ajil.2022.81